Von Obsidian zu Floatglas
Der überwiegende Teil von Flachglas besteht heute aus Floatglas. Dieses Verfahren wurde erst in den 70er Jahren zum Standard. Es verbilligte die Herstellung von flachen Glasscheiben enorm und ist die Basis für die Beliebtheit von Glas in der Architektur. Bis zur Erfindung dieser Methode haben Glashersteller über Jahrtausende hinweg an Produktionsmethoden gefeilt. Hier geben wir Ihnen einen kurzen Überblick über die Geschichte dieses faszinierenden Materials.
Obsidian, natürliches Glas, entsteht, wenn Lava rasch abkühlt. Bereits in der Steinzeit stellten Menschen damit Keile, Schaber und Klingen her. Dieses Material lässt sich jedoch nicht schmelzen oder einfärben.
Wo die Glasherstellung ihren Ursprung hat, ist ungewiss. In Mesopotamien wurden zahlreiche Gegenstände aus Glas gefunden. Zum ersten Mal wurde Glas in einem Text in Ugarit erwähnt, einer Hafenstadt im Norden Syriens.
Das älteste bekannte Glasgefäß ist ein ägyptischer Kelch, der um 1450 vor Christus entstand. Wo dieses Glas hergestellt wurde, ist nicht bekannt. Im östlichen Delta des Nils wurde Ende der 90er Jahre eine Glashütte aus der Bronzezeit entdeckt. Damals wurde zerkleinertes Quarzgestein mit Pflanzenasche vermischt und geschmolzen. Die so erhaltene Masse wurde zerkleinert, noch einmal hoch erhitzt und zu Barren geformt. Metall-Oxide verliehen dem Glas Farbe.
Im Jahr 77 erschien im antiken Rom die Historia naturalis, die Plinius der Ältere geschrieben hatte. Darin beschreibt er, wie Glas hergestellt wird. Sand wurde damals mit Natron aus dem natürlichen Natronsee Wadi Natrun in Ägypten geschmolzen.
Der römische Kaiser Diocletian legte im Jahr 301 Preise für Rohglas fest. Damals wurden Glasprodukte in zwei Stufen hergestellt. In großen Schmelzwannen wurde Rohglas in Barrenform produziert, das an Werkstätten geliefert wurde. Dort wurde es erneut eingeschmolzen und weiterverarbeitet zu Hohlglas, Flachglas und Mosaiksteinen. In Herculaneum, das wie Pompeji beim Ausbruch des Vesuvs vernichtet wurde, gab es bereits Fensterscheiben aus Glas.
Werkstätten im gesamten Römischen Reich beschäftigten sich mit der Herstellung von Glas. Damals wurde das Verfahren entwickelt, zähflüssiges Glas mit Pfeifen aufzublasen und zu Gefäßen zu formen. So entstanden Glasbehälter, Karaffen und Trinkgläser.
Die Germanen übernahmen die Glasherstellung von den Römern. Historiker vermuten, dass im frühen Mittelalter römische Gläser für fränkisches Glas eingeschmolzen wurden. Anfang des 12. Jahrhunderts beschrieb der Benediktinermönch Theophilus Presbyter in Köln die Produktion von Glas. Damals wurden Glashütten in abgelegenen Waldgebieten, zum Beispiel in Böhmen, angelegt, weil für das Erhitzen enorme Mengen von Holz gebraucht wurden.
Mit der aufkommenden Gotik im 12. Jahrhundert verbreitete sich Fensterglas. Für die bunten Glasfenster der Kathedralen wurde das sogenannte Mondglasverfahren entwickelt. Dabei wird eine Kugel vorgeblasen und in eine Tellerform geschleudert. Das erzeugte Glasscheiben mit einem Durchmesser von bis zu 1,2 Metern. Der Rand wurde zu Rechtecken geschnitten, die für Kirchenfenster in Blei gefasst wurden. Die Mitte ergab die sogenannten Butzenscheiben mit einem Durchmesser von 10 Zentimetern.
In Venedig stellten Glashütten bereits im 10. Jahrhundert Glas her. Nach einem großen Brand im 13. Jahrhundert wurde die gesamte Glasindustrie auf die Insel Murano ausgelagert. Lange Zeit war Murano das Zentrum der europäischen Glasherstellung. Dort entstand Mitte des 15. Jahrhunderts zum ersten Mal ungetrübtes Glas durch Entfärbung mit Manganoxid.
Im 18. Jahrhundert verlor venezianisches Glas seine Beliebtheit als Luxusgut. In Deutschland und den Niederlanden entdeckten Handwerker, wie Glas geschnitten und geschliffen werden konnte. Die barocken Schnittgläser wurden mit Vergoldungen, aber auch mit Emailmalerei veredelt.
1688 wurde in Saint-Gobain in Nordfrankreich zum ersten Mal das Walzglasverfahren dokumentiert. Dafür wurde geschmolzenes Glas auf einem Tisch glatt gewalzt. Im Gegensatz zum Mondglasverfahren wurde damit eine gleichmäßige Dicke der Gläser erzielt. Allerdings hat dieses Glas eine unregelmäßige Oberfläche und war oft blind.
Die industrielle Revolution brachte auch für die Glasproduktion eine Zeitenwende. Produktionsabläufe wurden automatisiert und Innovationen verbesserten die Qualität. Friedrich Siemens entwickelte 1856 einen Glasofen mit energiesparender Regenerativbefeuerung. 1867 stellte er den ersten Wannenofen vor, der ständig betrieben werden konnte. In Jena wurden 1882 die Glaswerke für optische Spezialgläser gegründet.
Einen Meilenstein setzte 1904 Emile Fourcault mit seinem Patent für die Ziehglasherstellung. Dabei wird die flüssige Schmelze in einem Kühlkanal auf 8 Meter Höhe gezogen. Die Methode wurde mit horizontalen Kühlkanälen verbessert. Auf diese Weise ließ sich die Produktionsgeschwindigkeit deutlich steigern.
Der größte Teil der heutigen Produktion von Flachglas geht auf eine Idee zurück, die der englische Erfinder bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte. Er kam darauf, flüssiges Zinn als Träger zu verwenden. Der Amerikaner William E. Heal ließ die Methode 1902 patentieren. Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg bewältigte die britische Firma Pilkington Brothers die technischen Probleme.
Seit den 70er Jahren entstehen 95 Prozent aller Flachgläser mit der Floatglas-Methode. Dabei wird die zähflüssige Glasmasse bei 1.100 Grad Celsius über ein Bad aus flüssigem Zinn geleitet. Das leichtere Glas schwimmt auf dem Zinn und breitet sich gleichmäßig aus. Durch die Oberflächenspannung des Metalls bilden sich dabei makellos glatte Oberflächen.
Am Ende des Bads wird das Glas herausgezogen und läuft anschließend durch einen Kühlofen, wo es ohne Verspannungen heruntergekühlt wird. Die Geschwindigkeit des Ziehens bestimmt die Stärke der Glasscheibe. Die dünnste Glasstärke beginnt bei 0,4 Millimeter.